Wie es ist, regelmäßig das Vertrauen in den eigenen Körper zu verlieren und dann hart daran zu arbeiten, dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Mein Leben mit Morbus Menieré.
Schlagwort: Morbus Meniere
Im August 2017 wurde mir zum ersten Mal gesagt, dass es sich bei meinem Problem nicht um ein einseitig chronisch stark verschlagenes Ohr aufgrund einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung handelt, sondern um einen Tieftonhörsturz im linken Ohr. War die erste Diagnose eine Mischung aus Google, Gefühl und Hausarzt, bekam ich die zweite bei einer Fachärztin, spezialisiert auf den Bereich von Hals, Nase und Ohren.
Heute, im Februar 2018, gehe ich immer noch regelmäßig zur Ärztin oder auch in die HNO-Ambulanz in ein Krankenhaus. Manchmal wird es besser, manchmal schlechter – aber ich gebe natürlich die Hoffnung erst auf, wenn nichts mehr geht. Wenn sich nichts mehr verändert und ich den Zustand schließlich so hinnehmen muss. Aber bis dahin will ich nichts unversucht lassen – und hiermit auch offiziell predigen: Wenn dir etwas fehlt, wenn irgendeine Funktion in deinem Körper nicht normal ihren Dienst ableistet, schau zu einem Facharzt bzw. einer Fachärztin. So bald wie möglich.
Wie alles begann
Das erste Mal hatte ich diese „verschlagenen Ohren“, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, irgendwann im Herbst 2008. Das kann ich deshalb so gut einschränken, weil ich damals zum Hausarzt ging, Antibiotika, Schleimlöser, Nasenspray usw. verschrieben bekam und all das dann in einer meiner ersten Wochen in Wien zu mir nahm. Es ging wieder weg, vielleicht waren es auch wirklich nur verschlagene Ohren, wer weiß das schon. 2011, in St. Pölten, hatte ich dann Angst, vor meinem Flug nach Stockholm, dass dieses Druckgefühl im Ohr beim Fliegen Probleme bereiten könnte – ich bekam vom dortigen HNO-Arzt das Medikament „Clarinase“ und einen Termin für einen Allergietest (mit dem Ergebnis: Hausstaubmilben!). Den Flug überstand ich, das Gefühl der verschlagenen Ohren ging auch weg. Aber all die Jahre über kam es immer wieder.
Das, jetzt, das begann ungefähr Ende 2016, Anfang 2017. Ich dachte noch: Typisch – in der Winterzeit. Vor meiner Masterprüfung ging ich dann noch zum Hausarzt, bekam zwei Wochen lang Antibiotika (sehr witzig dazu: das eine Antibiotika half überhaupt nicht gegen den Hörsturz, dafür beseitigte er einen Hautausschlag am Hinterkopf, der die letzten fünfzehn Jahre immer wieder auftrat und an der selbst eine Hautärztin scheiterte, er ist seither verschwunden; das zweite Antibiotika brachte eine leichte Verbesserung beim Hören), aber es ging nie weg. Und nachdem ich in regelmäßigen Telefonaten mit meiner Mama stets über meine kaputte Akustik jammerte, hab ich schließlich 1. eine HNO-Ärztin in meiner direkten Nähe gefunden bei der man 2. sogar zeitnah Online-Termine ausmachen konnte.
Seither nehme ich in nicht normalem Ausmaß Kortisontabletten, Kortisonnasensprays oder Kortisonnasentropfen, testweise auch mal Tabletten gegen Morbus Menière (weil ich es – selten aber doch – auch mit sehr starkem Schwindel zu tun hatte), normalen Schwindel-/Reisekrankheittabletten, zwischendurch auch mal wieder Antibiotika und klassischen Nasen- und Meersalznasensprays zu mir. Ich weiß seit November: Ich passe auch in ein MRT. Und könnte man bei Hörtests irgendetwas auswendig lernen, ich hätte das bereits längst geschafft. Das Ergebnis: Es geht immer wieder bergauf und auch bergab. Es ist und bleibt spannend.
Ganz, ganz kurze Info: Hörstürze entstehen durch laute Musik oder Stress. Und ich höre nie laute Musik.
Reden ja, zuhören nein!
Ein Tieftonhörsturz ist wie ein Hörsturz, nur ist er nicht so krass, dass man ihn gleich für einen Hörsturz halten muss. Ich habe normale, vor allem hellere weibliche und männliche Stimmen weiterhin gut verstanden, Probleme hatte und habe ich hingegen in Räumen mit vielen Menschen, in Runden mit vielen Männern mit tiefen Stimmen und überhaupt in Momenten, wo ich mich ganz genau auf eine Stimme fokussieren muss, während andere Eindrücke auf mich einprasseln. Nachfragen wie „Wie bitte?“, „Sorry?“, „Was?“ oder das oberösterreichische „Ha?!“ haben Einzug gehalten in meinen alltäglichen Sprachgebrauch und nerven wahrscheinlich schon alle meine Mitmenschen. Freunde und Menschen, die ich öfter treffe, wissen meist schon davon und leben damit. Aber ich will halt auch nicht jedem gleich auf die Nase binden: „Hey! Hallo! Ich bin Dominik und ich hör am linken Ohr verdaaaammmt schlecht, also bitte direkt ins rechte reinreden und sorry, falls ich tausendmal nachfrage!“ (Klar, in Zukunft könnte ich einfach diesen Blogbeitrag ausgedruckt vorab an die Bar legen.)
Aber ja, falls ihr euch das fragt: Es ist verdammt schwer, richtig gut zu kommunizieren. In größeren Gruppen und lauteren Runden kann es schon mal sein, dass ich die eine sprechende Person nicht verstehe und mich an den Menschen um mich herum orientiere, ob es jetzt Zeit ist, zu nicken, ernst zu schauen oder zu lachen. Es ist natürlich nicht die feine englische Art und wahrscheinlich habe ich dadurch auch schon hunderte Angebote gar nicht mitbekommen, aber so läuft das bei mir grad nun.
Nachdem ich mir 2018 vorgenommen habe, mal wieder ein bisschen mehr outgoing zu werden, bremst mich halt mein aktueller Gehörzustand etwas ein. Aber das Jahr ist noch jung
33 Prozent
Als ich im August erstmals das Wort „Tieftonhörsturz“ gehört hab, habe ich es nicht gleich begriffen. Ganz ehrlich … es brauchte noch bis Ende September, bis ich das erste Mal gecheckt hab, dass das offenbar nicht so leicht weggeht. Nach mehrmaligen Besuchen bei meiner HNO-Ärztin und einem MRT-Check, um ein Akustikneurinom (so ein gutartiger Tumor im Kleinhirn oder so) auszuschließen, schockte mich schließlich einer der Ärzte in der HNO-Ambulanz. Er war der erste und wohl auch der ehrlichste, der mir die Chancen erklärt hat: In 33 % der Fällen wird es wieder besser, in 33 % der Fällen bleibt es gleich und in 33 % der Fällen wird es schlechter und kann bis zur Vertäubung führen. Und ganz ehrlich: Davor habe ich richtig Schiss. Das ist auch der Grund, warum ich alles nur erdenklich Mögliche der Schulmedizin ausnutzen möchte. Ich habe Kortison nun bereits intravenös und mehrfach mit einer Spritze durchs Trommelfell durch ins Mittelohr bekommen (hört sich schlimm an, aber es ist relativ unspektakulär). Aktuell steht auch ein kurzer stationärer Eingriff im Raum, bei dem man das Trommelfell wegklappt und direkt an der Außenhülle des Innenohrs arbeitet. Ein weiteres, genaueres MRT ist in den kommenden Wochen geplant. Alles für das Gehör!
Dann gibt es da noch Menschen aus meinem Umkreis, die mir auch mal zu Alternativmedizin raten. Da ich ewig schon mit Verspannungen im Nackenbereich zu tun hatte, bin ich deshalb auch mal zu einem Chiropraktiker gefahren, der mir starke Schmerzen zugefügt hat, aber nach drei Tagen schließlich auch etwas Entspannung in diesem Körperbereich. Nun reden mir meine Schwester und meine Mama den Besuch einer Kinesiologin ein – und ganz ehrlich: Was habe ich zu verlieren außer unnötig viel Geld?
Nachdem ich auf Twitter mal herumgefragt habe, habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich nicht allein bin. Deshalb funktionieren Selbsthilfegruppen offenbar so gut! Diese Menschen haben mir fast durchgehend erklärt, dass oftmals die Kortisontherapie nicht ruckizucki Ergebnis lieferte, sondern erst eine Veränderung des Lebens eine Verbesserung herbeiführte. Da habe ich dann bemerkt: Medikamente allein reichen nicht. Sie sind gut, aber ich muss da mehr anpacken.
Welcher Stress?
Stress erzeugt Hörstürze. Unsensibel wie meine Mama manchmal sein kann, meinte sie nur „Naja, wo hast du denn so einen Stress? Da müssten ja alle anderen Menschen auch Hörstürze haben“. Heute hat sie ihre Aussage natürlich längst revidiert, aber ja, ich bin nicht so einer, der von einem Termin zum anderen huschen muss, immer auf Achse ist und rein von der sichtbaren Arbeitsbelastung an einem Burnout vorbeischrammt. Aber wie ich die letzten Wochen gemerkt habe: Mein Stress ist zu einem sehr, sehr großen Teil unnötig und läuft in meinem Kopf ab. Da braut sich etwas zusammen, belegt stundenlang während eines Bürotages meine Gedankengänge, erzeugt in mir Verspannungen und all das, dabei müsste ich nur einfach etwas öfter „Nein“ sagen. Das ist ja etwas, das ich überhaupt nicht kann – aber es nun schließlich lernen muss. Dass es für meinen eigenen Stresshaushalt jetzt mal wichtiger ist, ruhiger zu treten. Echt nur das zu machen – neben meinem Job, der mir wirklich Spaß macht – was mir leicht von der Hand geht.
Und während ich also nach und nach Gewohnheiten ändere, auch mal Nein sage und vielleicht Menschen damit vor den Kopf stoße und versuche meinen inneren Stress damit deutlich abzubauen, denk ich mir: Hey, Dominik! Du hast jetzt die Chance ein neuer Mensch zu werden. Und ja, Leute, auch das setzt mich unter Druck – weil eigentlich würd ich nur gern wieder gut hören.
Jetzt mache ich mich mal fertig und geh wieder einmal in eine Bar mit einer viel zu großen Runde an Menschen, versuche möglichst vieles zu verstehen (und nicht wie so oft, die schrillen Menschen auf den Nebentischen besser zu verstehen!) und am Leben teilzuhaben. Weil es einfach gut ist, mal Menschen schlecht zu hören, als immer nur den Tinnitus zu gut. Aber ja, ich wollte darüber schon einige Zeit länger schreiben. Weil es mich seit Monaten beschäftigt, mein Leben beeinträchtigt und man auch darüber mal reden sollte. Nämlich sehr laut und am besten ins rechte Ohr rein.
Das Beitragsbild ist übrigens ein Schnappschuss von meinen MRT-Aufnahmen.