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10 Gründe, warum sich der Onlinejournalismus in eine Sackgasse manövriert

Der 7. Grund wird dir die Tränen in die Augen treiben!

Vermutlich zeitgleich mit der erstmaligen Benutzung des Wortes „Medium“ brachte irgendjemand den „Medienwandel“ ins Spiel. Alles ändert sich und wie schon so oft beginnen Medientheoretiker wieder einmal vom Sterben eines „alten“ Mediums aufgrund der Etablierung eines „neuen“ zu sprechen – dem Rieplschen Gesetz zum Trotz. Doch während so manche den Printjournalismus seit Jahrzehnten totsagen, so beziehe ich mich auf den Onlinejournalismus. Als jemand, der selbst Journalist bei einem Onlinemedium ist und auch als überdurchschnittlicher Mediennutzer habe ich dabei zugesehen, woran man gescheitert ist oder noch scheitern wird.

Grund Nr. 1: Es muss (nicht) über alles berichtet werden

Seien wir mal ehrlich: Prüft man in Onlineredaktionen die zu tippende Meldung noch auf ihren Nachrichtenwert? Alle großen österreichischen Onlinemedien haben über die Dauer von 3 (!) Tagen über ein Pferd berichtet, das von einer Radarfalle fotografiert wurde. Oder über einen Politiker, der auf eine Satireseite reingefallen ist. Oder über den amerikanischen Austauschstudenten, welcher in Deutschland in einer Vulvaskulptur aus Stein stecken geblieben ist. Das sind alles recht liebe Soft News, definitiv, aber kein Medium schaffte es, bei den Beiträgen recht viel Neues hinzufügen, was nicht schon bei der ersten Meldung zu lesen war. Dadurch erhält man eine Kopie nach der anderen, die sich maximal von Logo und Design etwas unterscheiden werden. Und deshalb kann sich auch eine Paywall nie durchsetzen: Denn warum soll ich für etwas zahlen, was ich anderswo fast 1:1 gratis bekomme?

Grund Nr. 2: Schnelligkeit schlägt jedes Mal die Information

Der Nachrichten-Anchorman Armin Wolf denkt, dass Printmedien sterben würden, weil sie durch ihren frühen Redaktionsschluss und anschließenden Druck und Vertrieb nicht einmal annähernd zeitnah berichten können. Ich behaupte, dass der durch das Internet ermöglichte Echtzeitjournalismus viel eher die Onlinemedien selbst gefährdet. Denn – dem großen Konkurrenzdenken sei Dank – natürlich will man stets der Erste sein. So werden selbst Todesfälle von bekannten Persönlichkeiten mit einer suchmaschinenoptimierten Überschrift und einem Agenturbild in Sekundeneile veröffentlicht und im vorläufigen Beitragstext auf kommende Updates in der Causa hingewiesen. Früher starb man definitiv schöner. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ich bewerte Medien nicht danach, wer als Erster über etwas berichtet, sondern danach, was sie mir zu berichten haben. Und das ist oftmals eben einfach viel zu wenig.

Grund Nr. 3: „Jedem Gerücht ein Berücht!“

In einem verschollenen Artikel von mir habe ich schon einmal darüber geschrieben: Lieber über 10 Gerüchte berichten, damit man ja nicht das eine Gerücht übersieht, welches sich irgendwann bewahrheiten wird. Ein Paradebeispiel dafür ist der Technikjournalismus, der seit 2007 über ein Billig-iPhone berichtete, welches schließlich erst im vergangenen Jahr (2013!) in den Handel kam und schlussendlich gar nicht so billig war, wie die geschätzt dreißig Artikel im Laufe der Jahre vermuten ließen. Warum man trotzdem darüber berichtet? Weil es die Menschen interessiert, sagten mir einige JournalistInnen. (Und somit auch die Klickzahlen stimmen.) Wenn aber Klickzahlen stärker bewertet werden als der Wahrheitsgehalt der Meldungen, dann sind diese Beiträge aus „Qualitätsmedien“ genauso fundiert wie jene eines Hobbybloggers.

Grund Nr. 4: Diskutiere nie mit OnlinejournalistInnen!

Ich beneide sie manchmal, die OnlinejournalistInnen, welche bei den großen Medienhäusern arbeiten und für ihre Arbeit bezahlt werden. Aber wenn man mit den ersten drei Gründen hausieren geht und sich OnlinejournalistInnen zu Wort melden, endet das meist traurig. Denn die Klickzahlen, dieser quantitative Erfolgsfaktor, scheinen zum Nonplusultra geworden zu sein – man schreibe über Gerüchte, Soft-News und 10-Sekunden-Echtzeiteinträge nur, weil die Menschen das so wollen. Das kann man natürlich als Qualitätsjournalismus bezeichnen, aber auch wohl nur, weil Qualität ein furchtbar dehnbarer, relativer Begriff ist. Klar, mir sitzt kein Geschäftsführer im Nacken – aber ich genieße es, auf neuwal.com eben mal richtig tief rein zu recherchieren, um nicht das zu schreiben, was Menschen lesen wollen, sondern das zu schreiben, was Menschen suchen: Information, Aufklärung, Erklärung.

Grund Nr. 5: Alles für die Werbung!

Und weiter gehts: Aufbauend auf den bisherigen vier Gründen nun der erste Versuch einer Erklärung. Jedes Onlinemedium hat natürlich eine Geschäftsführung. Und eine Geschäftsführung möchte, dass das Onlinemedium gewinnbringend arbeitet. Waren Onlinemedien früher zu einem sehr großen Teil quersubventioniert (also: Printerlöse landeten bei Onlinemedien), so verdienen nun schon viele recht viel Geld durch den Anzeigenverkauf. Die halbgaren Beitrage erzeugen Klickzahlen und Klickzahlen erzeugen mehr Impressions bei den Anzeigen, die man dadurch teurer verkaufen wird können – doch entsteht damit ein besserer Journalismus oder gibt es dann einfach doppelt so viele halbgare Beiträge? Denn das Phänomen, dass ein großartiger Anzeigenverkauf zu einer erhöhten Auflage führt und eine erhöhte Auflage zu einem noch großartigeren Anzeigenverkauf kennen wir schon aus der Print-Ära (unter dem überraschenden Namen: Anzeigen-Auflagen-Spirale) – aber was wird dann im Onlinebereich erhöht, wenn der Anzeigenverkauf ja abhängig von Klickzahlen und ebendiese von den Beiträgen ist? Wenn sich also ein Onlinemedium feiert, als alleinstehender Konzernteil schwarze Zahlen zu schreiben, so sollte man sich auch genau ansehen, warum dem so ist.

Grund Nr. 6: Meinungsmache Social Media

Es überrascht, wie aufbauend die Gründe zu sein scheinen: Man nehme die halbgaren Beiträge, das Lugen auf die Klickzahlen, und all das nur wegen der Werbung und schon beweisen die Onlinemedien erneut, wie sehr sie sich selbst doch wandeln. Denn auch ich muss sagen, dass ich nur noch selten die Medien-Websites direkt ansteuere, sondern ausgewählte Texte, die es mir in den Nachrichtenfeed auf Facebook und Twitter spült, nur durch die Empfehlungen meiner Kontakte in den sozialen Medien lese. Somit haben die Medien auch die Aufgabe, ihre Beiträge in den Social Media gut zu vermarkten. Doch was ich zuletzt immer öfter zu lesen bekam, war offenbar die sehr private Meinung des Social Media Managers. Dass z.B. die 100 Millionen US-Dollar, welche Ungustler Bernie Ecclestone gezahlt hat, keine „Sauerei“ sind, sondern geltendes deutsches Recht, konnte man aus vielen Linkbeschreibungen auf Facebook nicht herauslesen.

Grund Nr. 7: Zwiebeln!

Wie versprochen: Tränen. Zwar nur in der Fantasie, aber immerhin. (Und? Wer hat jetzt nur wegen der Ankündigung bis Punkt 7 gelesen gescrollt? Seid ehrlich!)

Grund Nr. 8: Buzz Lightyear ist ein heftiger Clickbaiter!

Es sind diese „neuen“ Websites wie Buzzfeed, Upworthy oder heftig.co, die es den klassischen Onlinemedien zu schaffen machen. Und ja, auch ich benutze das klassische Format für diesen Beitrag: Ein Listen-Beitrag mit „heftigem“ Teaser. Aber eventuell mit mehr Inhalt als der Großteil ihrer Beiträge. Und ja, während ich heftig.co komplett meide, klicke ich mich immer mal wieder in Buzzfeed rein: großartige Softnews, mit einem tollen Einsatz der unterschiedlichen Mediengattungen. Aber ich sehe es so nicht als Nachrichtenmedium – und Buzzfeed ist nicht unklug, wenn es jetzt die „wirklichen“ Nachrichten von der Spaß-und-Quiz-App ausgliedert um die News auf ein eigenes Bein zu stellen.

Wer österreichische Onlinemedien in den vergangenen Monaten abonniert hat, weiß: Man will auch clickbaiten, also mit absurden Ankündigungstexten die Leute auf seine Seite locken. Das war am Anfang noch witzig, doch schon schnell erzeugte es nur mehr Kopfschütteln. Vor allem, weil die so angekündigten Beitrage manchmal mit ihrem Inhalt sogar den (negativen) Vorbildern auf Buzzfeed usw. um nichts nachstehen.

Grund Nr. 9: Sibylle Berg hat Recht

Okay, diesen Grund kann ich wirklich nur schwer belegen. Aber man lese selbst: „Verschlankt den Schwachsinn“ auf SPIEGEL online. Dort beschreibt sie wie schrecklich die Onlinemedien in den vergangenen Jahren geworden sind: der Journalismus wurde hektischer, schneller, und sie bezieht sich dabei nicht nur auf den Onlinejournalismus alleine. Und in ihrem Kommentar laufen auch alle meine genannten Gründe zusammen – das Clickbaiting stinkt, die Information wird immer rarer, der Echtzeitsjournalismus immer sinnfremder. Und die JournalistInnen, die ihren Beruf oftmals hoffentlich als Traumjob bezeichnen, würden wahrscheinlich unglaublich gerne andere Artikel schreiben. Doch der Zeitdruck, die Vorgaben von oben und auch die Pflicht, auf allen (sozialen) Medien irgendwie aktiv zu sein, raubt einem wahrscheinlich die Möglichkeit eben dies zu tun.

Der Journalismus hat nichts mehr zu verlieren, da stimme ich zu, und gerade deshalb kann man Experimenten wie Buzzfeed mit entgegengesetzten Experimenten entgegentreten: Nicht mehr nur die Nachricht in den Vordergrund zu stellen, sondern die Information.

Grund Nummer 10: Die Information tut keinem weh

Kommen wir zurück zu den Ecclestone-Beiträgen. Natürlich ist die Optik furchtbar schlecht, wenn man bedenkt, dass der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht stehende Formel-1-Chef mit der Zahlung von 100 Millionen US-Dollar das Verfahren beenden konnte. Doch statt (nur) von einem Freikauf zu sprechen, sollte man einerseits die Nachricht bringen, dass dies passiert ist. Zusätzlich noch einen Info-Artikel, der erklärt, wie ein außergerichtlicher Vergleich in Deutschland funktioniert, ob so etwas in Österreich auch möglich wäre (und ev. auch Buzzfeed-mäßig: „Die drei größten Vergleiche aller Zeiten) und schließlich noch ein Kommentar, wo man die Sinnhaftigkeit eines solchen Gesetzes in Frage stellen kann. Ich wage zu behaupten, dass das Interesse an Information bei den RezipientInnen grundsätzlich vorhanden ist, aber aufgrund der Inhalte der Medien schön langsam erschlafft ist. Das müsse man aufwecken. Das muss das Ziel sein.

Und dann klappt es auch mit dem Retourgang. Irgendwie.

Wo zehn Gründe, da auch zehn Lösungsvorschläge

Was ich außerdem gelernt habe: Wenn man sich die Mühe macht, in zehn Punkten zu kritisieren, sollte man auch noch zehn Lösungsvorschläge liefern. Gesagt, getan:

  1. Auswahl der berichtenswerten Artikel – nicht alles ist eine Nachricht wert (bzw. hat einen Nachrichtenwert)
  2. Lieber ein gut recherchierter Beitrag nach einer Stunde als ein Stress-Beitrag mit Überschrift und Bild nach einer Minute
  3. Stimmt das Gerücht? Wer sagt es? Was stimmte da bisher? Als Medium sollte man nicht über das Hörensagen berichten, sondern vor allem über Fakten (und handfeste Beweise).
  4. Große Klickhits passieren einfach (tolles Thema, gute Schreibe, passender Zeitpunkt, etc.), sie erzwingen zu wollen schadet dem Journalismus
  5. Wenn der Verlag schon mehr Geld durch Werbung ergattert, sollte er auch in Onlinejournalismus investieren
  6. Social Media – gerne. Doch ohne direkte Meinung und Meinungsmache.
  7. Knoblauch. Eindeutig Knoblauch.
  8. Buzzfeed, Upworthy und heftig.co bekommen Abermillionen Zugriffe – aber sind sie deshalb journalistisch wertvoll? Hin und wieder ganz sinnvoll – Menschen brauchen Soft News -, aber es passt eben nicht überall.
  9. JournalistInnen bekommen immer mehr Aufgaben auferlegt, die quantitativen messbaren Zahlen müssen stimmen, egal ob die Qualität darunter leidet. Und das gehört wieder etwas umgedreht.
  10. Zu jedem komplexen Nachrichtenartikel einen erklärenden Infotext. Um die Zusammenhänge zu verstehen, um informiert zu werden.

Geht es nur mir so?

Das ist jetzt natürlich die große Frage: Was läuft im Onlinejournalismus falsch? Verstehe ich etwas grundsätzlich falsch oder stimmst du mir zu? Was ist deine Meinung zur Misere im Onlinejournalismus? Am Besten hier unten kommentieren und diskutieren!

Update #1 : Eine Linkliste

CARTA, ein grundsätzlich ja schon sehr empfehlenswertes Onlinemagazin, befasst sich häufig mit dem Medienwandel, und auch mit dem Wandel des Journalismus zu nicht immer Besserem. So wie der Beitrag „Ein Duracell-Häschen namens Journalismus“ von Christian Jakubetz (8.8.2014), in welchem er über die Sinnhaftigkeit so mancher Berichterstattung sinniert.

Gregor hat sich auf dem netten Technikblog slur.at über den Onlinejournalismus ausgelassen – bzw. besser gesagt: über den österreichischen Onlinejournalismus. „Onlinejournalismus in Österreich – als man den Fokus aufs Wesentliche verlor“ erschien im Februar dieses Jahres (2.2.2014).

Die Studienleiterin am MAZ, der Schweizer Journalistenschule, Frau Alexandra Stark fragte auf Twitter bei mir nach, warum sich „nur“ der Journalismus in diese Sackgasse manövriere, und nicht die JournalistInnen selbst ebenso. Ich habe dann mit dem „ökonomischen Druck“ von oben geantwortet. Wobei das eventuell nur eine Ausrede ist. Aber auf ihrem Blog „journalism RELOADED“ hat sie einen interessanten Beitrag veröffentlicht, welche die notwendigen Kompetenzen für JournalistInnen beschreibt: „(Neue) Kompetenzen für die Zukunft“ (12.1.2013)

Alexis Johann, laut Twitter-Bio „Head of styria digital one“ und auch ein ehemaliger Dozent von mir an der FH St. Pölten, hat ebenfalls meinen Beitrag getwittert und ihn einem Beitrag von ihm gegenübergestellt, mit dem Titel „Rationale Optimisten: Was journalistische Organisationen besser können“ (18.7.2014). Doch das ist eben wieder die andere Sichtweise:

„Noch nie täglich wurde so lange Medien konsumiert und die großen Marktplätze für News im Web (Google, Facebook) haben in mehreren Updates zuletzt auf den Kern des Journalismus hin optimiert, auf Aktualität, Relevanz, Faktizität und Unterhaltungswert.“

Ein Zitat aus der Zusammenfassung: Und dem stimme ich gar nicht zu. Ja, der Kern des Journalismus wird vielleicht sichtbar, aber nicht befüllt. Dass die Zugriffszahlen steigen, bedeutet nicht, dass die journalistische Arbeit herausragend ist. Das sieht man im Printbereich in Österreich am Besten an der Auflage und Reichweite der Kronen Zeitung. Und, wie schon in meinen zehn Gründen beschrieben, stehen auch für Johann die Zugriffe an vorderster Stelle:

Wir können auf spannende Bilder zugreifen, die massiv zu einer Verbesserung der Klickraten und damit der Sichtbarkeit führen.

Updates im Überblick

Version 1: 11.8.2014 – 8.33 Uhr
Version 1.1: 11.8.2014 – 17 Uhr – Einfügung des 1. Updates
Version 1.2: 11.8.2014 – 17.45 Uhr – Ausbesserung einiger Rechtschreibfehler (Dank an Heiko)

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