„Haben sie schon einmal unabsichtlich begonnen, einen Lebensratgeber zu lesen? Nein?! Dann wird dieser Artikel ihr Leben für immer verändern!“
Auf der Suche nach einem günstigen eBook für die Sommertage und lange Zugfahrten stolperte ich vor wenigen Tagen über „The Inside-Out Revolution“ von Michael Neill (laut Buchcover: ein „bestselling author“) … und all das um nur 1,88 Euro. Was kann man da denn schon falsch machen?
Ein Fehler war es, mit dem Lesen zu beginnen. Eigentlich hätte ich mich schon der Untertitel des Werkes abschrecken sollen – doch ich habe ihn erst nach ein paar Seiten des Reinlesens erblickt: „The Only Thing You Need to Know to Change Your Life Forever“. Das soll es also sein, das große Selbstheilungsbuch, nach dem nichts mehr so wie vorher sein wird. Natürlich war ich überrascht, weil ich noch nie von einem solchen Buch gehört habe, und war zudem gespannt, wie und wodurch sich mein Leben nun für immer verändern würde.
Das Werk, ich las es in Englisch, war grundsätzlich leichte Lektüre, aber nach den ersten paar Seiten war die Utopie verschwunden, dass ich mir hier eine nette populärwissenschaftliche Lektüre wie z.B. „Thinking Fast and Slow“ von Daniel Kahneman zugelegt hatte. Das hatte nichts mit populärwissenschaftlich zu tun, sondern war eindeutig pseudowissenschaftlich und esoterisch. Doch zu lesen konnte ich natürlich nicht mehr aufhören. Mit einem Umfang von 136 Seiten verlor ich zumindest nicht viel Lebenszeit und schon nach kurzer Zeit war für mir auch klar, dass hier ganz einfach ein Blogbeitrag resultieren musste.
Der Supercoach Michl
Auf seiner Website supercoach.com (!) findet man Neills gesammeltes Wissen, all seine Erfahrung, als Coach von Celebrities und CEOs, alle Infos zu seinen Büchern, seiner Radioshow und seinem Auftritt bei einer TEDx-Veranstaltung. Ich bin ja der Meinung, dass TED („Ideas worth spreading“) aufhören sollte, ihren großartigen Namen an dubiose TEDx-Events zu vergeben. Denn schon 2010, bei ersten TEDxVienna, ich saß im Publikum, hüpfte der österreichische NLP-Fritze Roman Braun auf die Bühne, sprach über die „Non-Trivial Side of Happiness“, riss mich mit, nur damit ich mich Minuten später darüber ärgern musste, von dieser Form von Gehirnwäschen nicht komplett gefeit zu sein. Und so schafft es auch Neill schon nach kurzer Zeit das zu sagen, was man gerne hören will.
Es liest sich – wie schon zuvor angesprochen – locker, nur wenige Wörter müssen übersetzt werden und große Gedankenverbiegungen sind glücklicherweise auch nicht notwendig. Glücklicherweise vor allem für den Autor, denn nur ein paar Überlegungen mehr und man erkennt, dass sein Lebensveränderungsbuch ein Nicht-Ratgeber ist. Da sind selbst die „Fuck it!“-Bücher von John C. Parkin gehaltvoller (Quintessenz: Du bist vollkommen irrelevant, mach was draus!) – wobei auch da die Leute wie verrückt auf Fuck-it-Camps fahren, um sich in einer Gruppe Gleichgesinnter irrelevant zu fühlen.
Vielleicht sollte ich noch erklären, dass ich kein grundsätzliches Problem mit Coaching habe. Problematisch wird es erst, wenn sich Coaches zu Gurus hochstilisieren, eine Lösung für alles gefunden zu haben (Neill z.B. meint, dass nach dem Erfolgen einer „Inside-Out Revolution“ die Welt kriegfrei sein würde! Auf mit einer gesamten Auflage nach Israel und in den Gaza-Streifen!). Dann bekommt das Ganze nämlich etwas furchtbar Sektenartiges. So wie damals, als ich 10 Einheiten Yoga nahm, die Anstrengung und Entspannung wirklich genoss, mich aber stets dagegen verwehrte, in diesem dubiose Gemeinschaftsgefühl aufzugehen. Als ich schließlich sogar auf eine Veranstaltung ihres Gurus (namens „Hans“) mitging, blieb mir nichts anderes als Flucht vor diesem Wahnsinn.
Die Quintessenz: Fuck it, nur ohne Vulgärausdrucke
Michael Neill hat seine Weisheiten in Wahrheiten ja nur kopiert. Das gibt er auch offen und ehrlich zu, aber er sieht sich wohl auch als Einziger dazu im Stande, ein Buch darüber zu schreiben. Der wahre Erfinder der Selbstheilung ist bzw. war Sydney Banks. Auf ihn gehen ja (bekanntlich!?) die drei Prinzipien zurück, auf der die ganze Welt aufbaut. Wahrhaftig, es ist so, ich sage es euch! Alles (Ich preise euch: ALLES!) geht auf diese drei Prinzipien zurück: nämlich „The Three Principles of Mind, Consciousness and Thought“. Worauf er aber nach 136 Seiten schlussendlich kommt? Dass man, wenn es mal zuviel ist, einen Schritt zurückgehen muss. Dass man, wenn man sich viele Gedanken macht, sich nicht zu viele Gedanken machen sollte. Und natürlich, dass man vollkommen irrelevant ist, und das ja grundsätzlich etwas sehr Positives ist. Verstanden?
Ich will jetzt nicht sagen, dass das Buch vollkommener Mist ist. In vielem hat er natürlich Recht, weniger Gedanken sind oftmals wirklich gut, etwas Abstand ist nie schlecht, aber dem Versprechen, dass das Buch mein Leben für immer verändern wird, kam es noch nicht nach. Zugegeben: Auch Neill sagt, dass man zwar alles in diesem Buch vergessen könnte, aber die über allem liegende Weisheit hätten ich mit der Lektüre nun aufgesogen und irgendwann speit mein Unterbewusstsein es aus und ich werde erleuchtet sein.
Deshalb ist das Buch auch ein Nicht-Ratgeber. Liest man es und reflektiert darüber, hat das Buch keine Wirkung. Schaltet man das Denken aus, fängt aber die Gehirnwäsche an zu wirken und das Leben wird aufblühen, die Transformation wird alles verändern und die Welt, ja, die Welt, wird dann ein schönerer Ort sein. Eh schon wissen.
Lieber Sekt statt Sekte
„A space where miracles happen“ bescreibt Neill seine Website, sozusagen das digitale Gotteshaus für die Anhänger der Inside-Out-Revolution. Ich bezweifle nicht, dass das Buch eine Wirkung haben kann, dass es einem dabei hilft, vielleicht mit ein paar Dingen besser klar zu werden, weil man sich zu mehr Abstand und weniger Gedanken zwingt. Aber die Guru-Worte nerven spätestens nach Seite 10. Und ich bin froh darüber, nur 1,88 Euro für dieses Werk ausgegeben zu haben. (Aber war ich ja schon vorher in diesem perfekten Stadium des menschlichen Lebens, von der Neill immer wieder spricht: habe vergessen überhaupt nachzudenken und war somit vollkommen rein an Urteilsvermögen. Es wirkt also! ES WIRKT!)
Und für alle, die den Kopf mal wieder ein bisschen frei bekommen können, empfehle ich ein paar Gläser Sekt. Der macht einen schnell schwummrig, die Gedanken werden freier und die Welt verändert sich definitiv nach der ersten Flasche. (Aber nicht zu häufig probieren, okay?)