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Der fehlende grüne Zweig zwischen Amazon, AutorInnen und Verlagen

19 Jahre, nachdem Amazon das erste Buch verschickt hat, gehen nun AutorInnen und Verlage auf die Barrikaden – aber warum?

Kein Unternehmen möchte wohl gerne mit den Begriffen „unbarmherzig“, „unerbittlich“ oder „gnadenlos“ in Verbindung gebracht werden. Gibt man aber die englische Übersetzung dieser Worte, „relentless“ in die Adresszeile eines Browsers ein, fügt ein „.com“ dazu und drückt im Anschluss die Enter-Taste, landet man mittels Weiterleitung auf der Startseite des Online-Versandhändlers Amazon. Und nein, das ist keine boshafte Spiegelvorhalt-Aktion einer Anonymous-Splittergruppe, diese Domain gehört ganz offiziell dem Unternehmen – wollte doch der Gründer Jeff Bezos sein Unternehmen eben so taufen (bis ihm offenbar gute Freunde davon abgeraten haben).

Gegenüber AutorInnen und Verlagen scheint Amazon aber seinem Nicht-Namen vollkommen gerecht zu werden. Nach einem kurzen Aufschrei aufgrund der Arbeitsbedingungen in deutschen Versandzentren im vergangenen Jahr, versucht nun die verlegende (und schreibende) Zunft, Druck auf den Weltmarktführer auszuüben, sozusagen als Gegenangriff.

Wer verkauft, schafft an

Der große Vorwurf, und – hierbei zitiere ich Wikipedia, weil dort ein sehr ausführlichen FAZ-Artikel gut zusammengefasst wurde: „Amazon nimmt höhere Gebühren als andere Anbieter (etwa Ebay) und setzt Verkäufer, die ihre Waren zugleich auf anderen Portalen günstiger anbieten unter Druck und droht mit Entzug der Berechtigung zum Verkauf bei Amazon, wenn nicht trotz der höheren Gebühren der gleiche Endpreis angeboten wird.“

Um das ein bisschen zu verdeutlichen, arbeiten wir jetzt mal mit Zahlen: ein Buch kostet den 8 Euro, die Verkaufsgebühr auf Ebay ist 2 Euro, die Verkaufsgebühr auf Amazon ist 3 Euro. Damit könnte der Verlag das Buch auf Ebay um 10, auf Amazon aber erst um 11 Euro anbieten. Das lässt Amazon nicht zu – der Verlag müsse auf irgendeinen Teil der 8 Euro verzichten, damit das Werk auch auf Amazon um 10 Euro erhältlich sein kann.

Jetzt kann man natürlich sagen: „Na dann verkauft doch einfach nichts mehr bei Amazon! Zieht euch zurück und baut euch euren eigenen Onlineshop auf!“ Aber die Wahrheit ist, ähnlich wie bei Facebook und Google muss man dabei sein. Amazon ist eine riesige Plattform, ein Schauraum für Abermillionen Produkte, ein Marktplatz für unzählige Unternehmen – Jeff Bezos hat da schon – das muss man offen und ehrlich zugeben – etwas Herausragendes geschaffen. Und viele, oft kleine Verlage brauchen den Großen, um auch nur ansatzweise gesehen zu werden. Die Verlage brauchen Amazon und das weiß Amazon nur zu gut. Müssen sich aber die Verlage einfach fügen und darf Amazon seine Marktmacht derart ausnutzen?

Oder – und das kommt außerdem dazu – haben die Verlage gar einfach nur Angst, immer mehr an Bedeutung zu verlieren, weil neben dem Verlagsbuchmarkt durch „Kindle Direct Publishing“ eine Möglichkeit entstanden ist, abseits von Verträgen, Abhängigkeiten und Verpflichtungen seine eigenen Werke als eBooks bei Amazon zu veröffentlichen und dabei (so zumindest lautet die Erklärung) bis zu 70 % der Verkaufserlöse im Kindle-Shop erhält. Dadurch kann jeder oder jede Autor oder Autorin werden – und nicht die Verlage, sondern der Markt entscheidet dann ob ein Buch Top oder eben doch ein Flop ist. Wieder einmal nimmt der digitale Wandel bzw. das Internet einer Zunft die Gatekeeper-Funktion ab. (Den Gatekeeper-Begriff kennt man zwar eher von der Publikationsweise von Massenmedien, aber auch für Verlage passt dieser Begriff gut: Sie sind die „Türsteher“, die entscheiden wer rein darf und wer nicht.) Heute stehen die  Türen nun für alle offen und man merkt: Viele Verlage belächeln all das immer noch. Doch es gibt sie schon, die ersten Stars des „Direct Publishings“.

Erpressung  á la Amazon

Auf www.fairer-buchmarkt.de wurde vor wenigen Tagen ein offener Brief an Jeff Bezos und dem Amazon.de-Chef Ralf Kleber veröffentlicht. Darin werden die Umstände erklärt, u.a. so:

Amazon manipuliert Empfehlungslisten. Amazon nimmt Autoren und Autorinnen und ihre Bücher als Druckmittel her, um noch mehr Rabatte zu erzwingen.

Bis Sonntag, 17. August 2014, 17 Uhr, haben 1.134 Personen diesen offenen Brief unterzeichnet. Darunter auch die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, Ferdinand von Schirach oder Ilija Trojanow. 

Damit folgen sie dem Beispiel von 900 amerikanischen AutorInnen (unter ihnen Stephen King), welche am 9. August 2014 eine ganzseitige Anzeige in der New York Times kauften, und darin einen offenen Brief an Amazon und Bezos veröffentlichten, wie The Guardian berichtete.

Dort, in Übersee, sind die Worte schon eindeutlich rauer. Der große Verlag Hachette und Amazon befinden sich dort bereits längere Zeit in einem Streit:

Both sides have gradually sharpened their rhetoric over recent weeks, with Hachette saying that it would be suicidal to accept Amazon’s proposals, and Amazon that Hachette should „stop using their authors as human shields„.

Was beim Streit in Nordamerika interessant ist, dass es außerdem eine Petition von AutorInnen gibt, welche eher auf der Seite von Amazon ist. Und das sind eben jene „major names“ im Bereich der Selbstpublikation, die vom Gehabe der Verlage offenbar genug haben – dazu auch ein Beitrag auf The Bookseller:

„Don’t judge them by their rhetoric; judge them by their behaviour. And by their behaviour you can see they have no interest at all in improving publishing for everyone. Only in preserving it for themselves,“ said the novelist [Barry Eisler].

Zwei Böse und ein Bauernopfer?

Gerade den Konter der Selbstverlegenden finde ich spannend. Gibt es solche Worte auch von deutschsprachigen Autoren ohne Verlag? Mir sind zumindest keine bekannt – und während man in den USA eventuell wirklich keinen Verlag mehr haben will, so ist das Selbstpublizieren im deutschsprachigen oftmals die letzte Möglichkeit (oder die Einfachste), Geschriebenes (und Abgelehntes) an die LeserInnen zu bringen. Dass Hanni Münzer, Autorin des sehr erfolgreichen eBooks „Honigtot“ (welches bei über 150.000 Stück Downloads steht), trotz des Erfolges im digitalen Markt doch mit einem „richtigen Verlag liebäugelt“ überrascht nicht: ein gedrucktes Buch, mit Marketing, Druck, Design, Lektorat usw. ist wahrscheinlich der Ritterschlag für Selbstverlegende. Aber auch Münzer sieht, wie die FAZ schreibt, einen Umbruch:

„Die Verlage haben nicht mehr das Monopol auf den Lesergeschmack. Es ist wie bei Darwin – natürliche Auslese. Allein der Leser entscheidet, was er will.“

Amazon hat es leicht, Verlage weniger, Autoren am Allerwenigsten. Aber bei der gesamten Diskussion geht es in Wahrheit viel eher um die Zukunft des Schreibens als über Erpressung und Ärger. Natürlich ist es falsch von Amazon, Empfehlungslisten zu manipulieren. Natürlich müssen sich die Verlage nicht alles gefallen lassen. Der unerbittliche, gnadenlose und unbarmherzige Riese tobt sich aus, ist sich seiner Macht voll und ganz bewusst und setzt sie auch ein.  Die Verlage sind weniger mächtig, aber eben auch nicht ganz sympathisch (vor allem die Größeren unter ihnen). Mit ihrem Beharren auf Bestehendem, z.B. der Buchpreisbindung, welche dafür sorgt, dass eBooks (also Bücher minus Druck und Vertrieb) meist nur maximal einen Euro billiger sind als ihrer gedruckten und verschickten Pendants – bremsen sie die gesamte Entwicklung.

Dabei erinnern sie an die Plattenfirmen, welche solange an CDs festhielten, bis sie von Napster bloßgestellt und von iTunes vorgeführt wurden. Oder Filmfirmen, welche erst jetzt schön langsam ihr Windowing-Modell überdenken, um den Wünschen der NutzerInnen nachkommen zu können – weil ansonsten Pirate Bay oder kinoX.to davon profitieren. Oder die TV-Anstalten, die bemerken, dass nicht sie es sind, die den Ablauf bestimmen sollten, sondern die Zuseherinnen und Zuseher – so wie bei Netflix oder Hulu.

Die AutorInnen haben es schlussendlich am Schwersten: Sie verlieren so oder so. Zum Einen, weil ihnen bei einem Verlag (zumindest anfänglich) nur eine geringe Beteiligung an den Einnahmen des Buches zugesprochen werden und zum Anderen, weil sie beim Streit zwischen Verleger und Versandhändler als Bauernopfer herhalten müssen, weil der Versandhändler unbarmherzig, gnadenlos und unerbittlich ist – und daher keine Rücksicht nimmt.

Deine Meinung ist gefragt!

Wieder einmal die große Frage: Sehe nur ich das so? Wer hat mehr für die Buchbranche getan, Amazon mit seinem rasanten Vertrieb und dem Kindle Direct Publishing oder die Verlage mit dem Unter-Vertrag-Nehmen von Autoren? Wie soll der Macht von Amazon Einhalt geboten werden? Und wie kann man vor allem den AutorInnen helfen?

Update #1: Deutsche Selfpublisher melden sich zu Wort

Wie Kollege Leitgeb mir auf Twitter aufzeigte, gibt es auch von deutschen Selfpublishern einen offenen Brief. Hier kann man den gesamten Brief lesen, ich bringe hier nur einen kurzen Ausschnitt:

So­lange das al­les nicht ge­schieht und so­lange Ama­zon um das zig-fache bes­sere Kon­di­tio­nen für Self­publis­her und Klein­ver­lage lie­fert, was Sicht­bar­keit und Tan­tie­men an­geht, als ir­gend­je­mand an­de­rer, so­lange kön­nen wir of­fene Briefe von ir­gend­wel­chen ver­meint­lich oder tat­säch­lich eta­blier­ten Au­to­ren nicht ganz ernst neh­men, eben­so­we­nig wie das Ge­heule von mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen wie Bon­nier und ähn­li­chen, de­nen zu­fäl­lig auch ein paar Ver­lage ge­hö­ren, dass Ama­zon böse ist.

Updates im Überblick

Version 1: 18.8.2014 – 8:00 Uhr
Version 1.1: 18.8.2014 – 12 Uhr – Einfügung des 1. Updates

Von Dominik Leitner

Vierunddreißig Jahre, aufgewachsen in Oberösterreich; lebt, arbeitet und verliebt sich regelmäßig unglücklich in Wien – Literarische Texte gibt es hier: Neon|Wilderness

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